Simulation des Körpers – der moderne Körperbegriff nach Jean Baudrillard

eine Hausarbeit im Rahmen des Seminares „Medien und Pädagogik in medienanthropologischer Perspektive“ von Dr. Benjamin Jörissen an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg (2005)

1 Einführung

In der Menschheitsgeschichte hat es immer wieder die unterschiedlichsten Betrachtungen des menschlichen Körpers gegeben. Alchimisten und Wissenschaftler der Antike haben den Körper mit der Natur in Verbindung gebracht, mit den Gestirnen und den vier Elementen versucht seine Zusammensetzung zu erklären. Detaillierte Körperdarstellungen findet man allerorts. In der Renaissance wurde dieses Körperbild wiederbelebt, doch begann man auch Körper aufzuschneiden, zu untersuchen und ihre Funktionsweise zu studieren.

In der Neuzeit spaltete man den Menschen auf in seinen Körper und seine Seele (oder im Folgenden auch in Geist, Körper und Seele). Der Körper wurde primär als eine Maschine betrachtet, deren Funktionsweise man mehr und mehr aufdeckte, aber auch als Herberge für die Seele, die man sich nicht so leicht erklären konnte und von der man bis heute keine klare Vorstellung hat.

Der Körper wird geschmückt, gestählt und dient bzw. diente immer als Aushängeschild des sozialen Status zahlreichen performativen Zwecken. Behinderungen, Hautfarbe und sonstige körperlichen Auffälligkeiten haben häufig zu Abgrenzungen zwischen den Menschen geführt. Der Körper ist auf der Suche nach der menschlichen Identität in vielerlei Hinsicht ein interessanter Knotenpunkt. Seine Darstellung, seine Verwendung, die Wertschätzung, die ihm entgegenbracht wird (oder auch nicht), all diese Dinge bilden unseren Körperbegriff, unser Konzept von Körperlichkeit.

Jean Baudrillard (geb. 1929) ist ein französischer Philosoph und Soziologe, dessen Theorien und Kritik sich auf zahlreichen Themen der Postmoderne wie Simulation, Virtualität, Globalisierung und Medien beziehen. Er setzt sich mit grundlegenden Untersuchungen des Symbolsystems auseinander und entwickelte basierend auf dieser Betrachtung eine Anti-Medientheorie. Baudrillard ist zurzeit Professor für Medien und Kultur an der European Graduate School in Saas-Fee, Schweiz.

Dieser Text versucht einen modernen Körperbegriff aus den verschiedenen Ausführungen Baudrillards abzuleiten und zu konstruieren. Dabei werde ich einerseits Ideen, die sich konkret auf den Körper beziehen analysieren und andererseits die komplexe Idee der simulierten Realität auf die moderne Verwendung und das allgemeine Konzept von Körper anwenden. Eine zentrale  Frage soll auch sein, ob es tatsächlich Anzeichen und Beispiele gibt, die dieses neue Körperbild untermauern und wie sich dies auf die Zukunft auswirken kann.

Doch zunächst soll die allgemeine Gedankenwelt von Baudrillard und die speziellen Begrifflichkeiten erläutert werden.

2 Die Definition von Simulacrum und Simulation

Um auf die verschiedene Texte von Jean Baudrillard eingehen zu können, scheint es mir sinnvoll einige grundlegende Ideen zu etablieren, die man wohl Baudrillards Gedankenwelt zugrunde legen muss und die daher notwendig sind, um zu verstehen worum es ihm geht.

Baudrillard spricht immer wieder von der Simulation. Dabei handelt es sich einfach gesagt um eine vereinfachte Darstellung eines Vorganges, einer Funktionsweise oder eines Prinzips. Einzelne Aspekte eines komplizierten Vorganges werden dabei bewusst vereinfacht oder Details vernachlässigt damit man die Zusammenhänge leichter erfassen kann. Dabei ersetzt man dann die komplexen Teile des Systems durch Vereinfachungen, die im Grunde nicht real sind. Es sind gedankliche Konstrukte, die aber leichter vorstellbar sind. Will man beispielsweise eine grafische Simulation einer Warteschlange bei der Post darstellen, so würde man anstelle einer realistischen Darstellung der Menschen in dieser Schlange wohl eher Punkte oder Ähnliches verwenden um die essentielle Information zu erhalten aber die Details zu vernachlässigen. Tatsächlich stehen natürlich Menschen dort und eben keine Punkte. Die daraus entstehende abstrakte Ebene ist es auf die sich Baudrillard häufig bezieht. Es bedeutet, dass der Rückschluss nicht mehr gezogen und die Simulationsebene nicht auf die Realität zurückgeführt werden. Meist handelt es sich dann um eine Art von Virtualität, die beschrieben werden soll. Ein anderes Beispiel dafür ist die „Gegenüberstellung von Territorium und Karte“ (Lagaay/Lauer 2004 [1], S.139).

Das Simulacrum indes setzt genau an dieser Stelle an. Hierbei handelt es sich laut Baudrillard um eine Simulation deren realer Ursprung gar nicht (oder nicht mehr) existiert. Ein Beispiel dafür ist Gott. Baudrillard beschreibt ihn als eine Vorstellung, eine Idee bzw. ein Konzept, dass sich nur durch die Menschen, die es verbreiten, am Leben erhalten hat. Da die Existenz von Gott nicht nachgewiesen ist, kann man dies als das perfekte Simulacrum auffassen. (Baudrillard 1994 [2], S. 4) Es ist das Modell von etwas, dass hyperreal ist. Ein weiteres Beispiel ist die schon erwähnte Landkarte. Um eine solche anzufertigen, wird die Form eines bestimmten Territoriums verkleinert und um zahlreiche Details ärmer repräsentiert. Bezugnehmend auf eine alte Fabel von Jorge Luis Borges, würde eine Karte, die alle Details wiedergeben wollte, exakt die Dimensionen ihrer Vorlage erreichen. Baudrillard sagt, dass heutzutage diese Karte den eigentlichen Landstrich entweder überlebt oder ihm sogar vollends vorausgeht. Die Repräsentation der Realität ersetzt die Realität. Die Virtualität wird allgegenwärtig und sie ist beliebig reproduzierbar. Wir nehmen nur noch die simulierte Realität war, wie sie uns z.B. durch die Medien geliefert wird. Doch die Simulation ist nicht zu durchschauen. „Jemand, der eine Krankheit fingiert, kann sich einfach ins Bett legen und den Anschein erwecken, er sei krank. Jemand, der eine Krankheit simuliert, erzeugt an sich eigene Symptome dieser Krankheit.“

Es scheint mir offensichtlich, aber nichtsdestotrotz soll es auch erwähnt werden, dass diese Vorstellungen Baudrillards, die Grundidee für die „Matrix-Filme liefert. Es scheint mir sinnvoll darauf hinzuweisen, dass diese daher die Ausführungen, mit denen ich mich im Folgenden beschäftige, stellenweise wirkungsvoll visualisieren. Dies gilt insbesondere für die zuvor erläuterten Begriffe. (z.B. Die Simulation einer Welt, die nicht mehr real existiert) Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass Baudrillard selbst da wohl anderer Meinung ist. [1]

Baudrillard benutzt auch selbst den Begriff Matrix relativ häufig, allerdings bezieht er sich dann zumeist auch auf die klassische Repräsentation eines zweidimensionalen Feldes mit verschiedenen Inhalten, die in Beziehung zu setzen sind und auf die Idee eines Systems von Codes, Repräsentationen, die für etwas Reales stehen und in seiner Gedankenwelt diesem Realen vorgeschaltet sind und es somit ersetzt haben. Dabei spielt auch sein geänderter Medienbegriff ein Rolle, den ich im Folgen noch genauer erläutern werde.

3 Der Körper verschwindet – Von Klonen und Hologrammen

3.1 Auflösung durch das Duplikat

Einer der wohl bedeutendsten Aspekte im Hinblick auf die Veränderung des Körperbegriffes ist zweifellos das Entschlüsseln der menschlichen Gene. Wie auch sämtliche anderen Dinge durch wissenschaftliche Analyse in immer grundlegendere Bausteine zerlegt worden sind so glaubt man nun mit dem menschlichen Genom einen wichtigen wenn nicht gar den wichtigsten Schlüssel für die Funktionsweise des menschlichen (aber als weiteren Aspekt natürlich auch jedes anderen) Körpers verstanden zu haben.

Aber dieser Umstand greift auch einen sehr ursprünglichen und fundamentalen Wert für den Menschen und dessen Identität an. „Of all the prostheses that mark the history of the body, the double is doubtless the oldest. “ (Baudrillard 1994 [2], S.66) sagt Baudrillard und verweist darauf, dass das Ebenbild (der Schatten, das Spiegelbild) immer Teil des Subjektes ist und doch auch sein Gegensatz. Doch wenn das „Doppelte“ tatsächlich erscheint und sichtbar wird, dann sei es gleichbedeutend mit Tod. Demnach basiert die Kraft des Ebenbildes auf seinem Nicht-Vorhandsein. Tatsächlich hat wohl jeder Mensch sich schon einmal vorgestellt, wie es wäre, wenn es eine exakte Kopie von ihm gäbe, es gibt zahllose Filme, in denen mit dieser Idee gespielt wird, weil sie offenbar die Menschen fasziniert. Doch dies gilt nur solange, wie es sich um eine Fantasie handelt, die nicht real ist.

Genau diese Grenze wird mit dem Klonen überschritten. Das Klonen ermöglicht es eben genau jene perfekte Kopie herzustellen, einen Menschen zu duplizieren wobei jede einzelne Zelle im menschlichen Körper (egal welches Teils des Körpers) als Ursprung für eine komplette Kopie dienen kann, „becoming the matrix of an identical individual“( Baudrillard 1994 [2], S.66) Baudrillard bezeichnet diesen Vorgang als „the purest form of parentage“ weil es durch diese Technologie möglich ist unabhängig vom anderen Geschlecht Nachkommen zu erzeugen (allerdings bestehe die Einschränkung, dass technisch immer noch bestimmte weibliche und männliche „Bauteile“ vorausgesetzt werden, aber tatsächlich wäre dies wohl vernachlässigbar und in jedem Fall anonym und daher ersetzbar). Dieses Vorgehen umgeht die komplette Vorstellung und Struktur des Fortpflanzens, denn es kommt ohne jegliche Idee einer Mutter oder eines Vaters also eines Ursprungs aus. Sie sind für die Herstellung neuen Lebens unnötig geworden und sie wurden ersetzt durch den genetischen Code, eine neue, funktionelle Matrix. Darin liegt jetzt (wenn überhaupt) der Ursprung und die Kontrolle über das Leben.

Viel bedeutender aber ist wohl der Verlust des Subjekts. Denn in dem Moment, in dem das perfekte Duplikat entsteht ist die Einzigartigkeit des Subjektes verloren, dass, was ihn von allen anderen unterschieden hat ist reproduzierbar. Es ist nicht vergleichbar mit einem Ideal, einer Idee von einem doppelten Selbst, die wie erwähnt immer noch durch ein Bild gefiltert wird beispielsweise durch das eigene Spiegelbild und damit nie exakt das ist was das Subjekt darstellt. Es wird immer verändert um sich selbst wieder zu finden. Nicht davon geschieht durch Klonen. „No more medium, no more image“ (Baudrillard 1994 [2], S.67) Selbst bei eineiigen Zwillingen handelt es sich um zwei, die zusammen sind, nicht ein Einziges.

Daraus ergibt sich laut Baudrillard, die Nichtigkeit des Körpers, denn jedwede Information über seine Existenz kann aus dem kleinsten Bauteil gewonnen werden: der Zelle. Jede der Zehntausenden von Millionen von Zellen beinhaltet den Bauplan für den gesamten Körper so, dass er sich selbst überflüssig macht und zu seiner eigenen Fortpflanzung nicht mehr notwendig ist. „If all information can be found in each of its parts, the whole loses its meaning“(Baudrillard 1994 [2], S. 67). Und der Körper ist immer das ganze und nicht nur ein Teil seiner selbst. Hier stellt sich aber doch die Frage, wie sehr man überhaupt einen Körper reduzieren kann, ohne das er aufhört ein Körper zu sein. Verliert ein Mensch beispielsweise all seine Extremitäten, ist das was übrig bleibt trotz allem ein Körper? Und wenn, ja, kann ich den Körper dann womöglich auf eine Zelle reduzieren? Ich halte die Frage für offen, auch wenn Baudrillard dies verneint. Es ergibt sich, so Baudrillard, ein weiteres Paradoxon, denn das Klonen erschafft trotz allem noch immer Menschen eines bestimmten Geschlechtes wobei es aber die etablierte Funktion dieser geschlechtlichen Unterscheidung, die klassische Fortpflanzung, unnötig werden lässt. Und doch ist Geschlecht ein grundlegender Bestandteil des Körpers der dadurch wiederum an Bedeutung verliert. Ein Teil, der die Informationsmenge übersteigt, die ein Körper zu beinhalten vermag. Und diese Informationsmenge ist der genetische Code der seine eigene Reproduktion beinhaltet. Die anhaltende Analyse des Körpers und sein Aufteilen und Zerlegen in Organe und Funktionsbereiche und das wiederholte Unterteilen dieser Teile ist eine Auswirkung davon. Eine Körpersimulation, die das ganze als einfache Zusammensetzung seiner Einzelteile zu begreifen versucht. So wird allmählich jedes Einzelteil mit seiner Aufgabe zu einer Prothese. Jedes Teil kann ersetzt werden durch das, was man klassischer Weise als Prothese bezeichnen würde, aber wenn es nicht Teil des Körpers ist, dann ist es schon längst zur Prothese geworden. Und deswegen kann man die DNS als die ultimative Prothese begreifen, die sämtliche Informationen enthält um den Körper aus sich selbst heraus entstehen zu lassen und zu erhalten. Der Körper ist dann nichts anderes mehr als eine „endlose Serie seiner Prothesen“ („indefinite series of its prostheses“, Baudrillard 1994  [2], S.68). Während klassische Prothesen eben funktionsunfähige Teile des Organismus ersetzen oder reparieren sollen z.B. Künstliche Gliedmaßen aber auch die wohl verbreitetste Prothese überhaupt, die Brille, bezeichnet Baudrillard hier eben alle Teile des Körpers als Prothesen weil sie den Körper nicht länger ausmachen.

 

Auch wenn Baudrillard sich hier eindeutig auf den Körper bezieht, so lässt sich doch auch für die Identität des Menschen hier einiges mühelos ableiten, besonders was die Einzigartigkeit angeht. In einer Welt, in der sich immer häufiger aufgrund standardisierter Regeln das Subjekt mit allen anderen vergleichen lassen muss, ist es notwendig sich abzugrenzen und zu individualisieren. Es stellt sich die Frage, wie sehr und in welchen Eigenschaften man anders sein muss, um nicht in eine Gruppe geworfen zu werden, der man nicht angehören will. Individualismus hat sich so in allen Lebensbereichen etabliert und je mehr man es versteht, durch Andersartigkeit aufzufallen, desto deutlicher wird (gegenüber anderen) die eigene Identität. Allerdings ist dieser Vorgang so dynamisch, dass es stetige Anpassungen geben muss und das Erhalten der eigenen Identität (oder Identitäten) einer lebenslangen Herausforderung gleichkommt. Es stellt sich die Frage, ob der Mensch um nicht vollends an seiner Existenz zu verzweifeln, seine Einzigartigkeit entsagen muss, die ihm Stück für Stück genommen wird.

Dabei ist Klonen für Baudrillard eben der letzte Schritt zur Auflösung des Körpers. Bezugnehmend auf Walter Benjamin, der eben die Wirkung von mechanischer Reproduzierbarkeit von Kunst für deren Bedeutung untersuchte, scheint auch dem Körper eine gewissen Aura, eine ästhetische Form oder Qualität verloren zu gehen. Die Authentizität geht verloren und das Original existiert nicht länger, weil es die unendliche Reproduzierbarkeit in sich trägt. Die Bedeutung des Körpers ist allerhöchstens eine Ansammlung von (änderbaren) Informationen. Und auch Identität ist nicht länger einzigartig. Sie wird ‚designed’ werden können durch Veränderung des genetischen Codes.

 

Hier finde ich, sollte man sich jedoch auch fragen, ob Identität ausschließlich auf der ursprünglichen Veranlagung basiert oder ob es möglich ist, im Laufe des Lebens seine Identität zu modifizieren. Dieser Gedanke basiert auf der Frage nach der Determinierung des Lebens. Sollten sämtliche Erfahrungen eines Lebens durch die ursprüngliche Konfiguration der Gene bestimmt werden ist eine quasi unvorhergesehene Entwicklung des Charakters wohl ausgeschlossen. Inwieweit also trifft dies zu? Doch selbst Baudrillard gibt in den Notizen zu diesem Kapitel zu, dass die Möglichkeit besteht, dass selbst beim Klonen eine Kopie niemals komplett identisch mit seinem Vorgänger sein wird. Es stellt sich also die noch grundlegendere Frage, ob es überhaupt möglich ist, das perfekte Duplikat (das ist ja die Idee, die diesen Ausführungen zu Grunde liegt) tatsächlich zu erschaffen. Unzählige Einflüsse könnte (bisweilen sehr minimale) Veränderungen von einer Generation zur nächsten bewirken, ein Umstand der auch in zahlreichen Science-Fiction Geschichten (z.B. „Do androids dream of electric sheep“) skizziert wird und zeigen soll, dass man bestimmte Naturgesetze trotz fortgeschrittener Technologie nicht umgehen kann.

Wenn also, und damit schließt Baudrillard, der Körper sich selbst nicht mehr repräsentiert beziehungsweise seine Bestandteile ersetzbar sind und das Bild dadurch nicht verändern, dann ist das Bild im Grunde komplett verloren. Ein Körper kann nicht mehr repräsentiert werden, nicht mehr gegenüber anderen aber auch nicht gegenüber sich selbst. Er beschränkt sich auf die Informationen, seine Definition in der genetischen Formel und ist somit im Grunde aufgelöst.

3.2 Das virtuelle Bild

Ganz im Gegensatz dazu beschreibt Baudrillard die identische Abbildung des Körpers, die perfekte Projektion der äußeren Erscheinung durch Hologramme. Für ihn ist das Hologramm „the perfect image and end of the imaginary“(Baudrillard 1994 [2], S. 73). Er geht sogar noch weiter und stellt fest, dass es sich überhaupt nicht mehr um ein Bild handele, da das eigentliche Medium ein Laser ist, nichts anderes als konzentriertes Licht, dass nicht reflektiert wird oder anderweitig sichtbar ist. Wie schon im Zusammenhang mit dem Klonen ist hier das Ebenbild, das Double, im Zentrum der Betrachtung. Es wird quasi vom Subjekt abgetrennt oder wie Baudrillard es formuliert, mit dem Laser(-skalpell) entfernt, wie man einen Tumor entfernen würde. Dabei ist das Hologramm als Bild eben so perfekt, dass man keinen Unterschied feststellen kann und damit verliert es das Bildhafte. Es ist keine schlichte Repräsentation mehr, denn es gibt keinerlei (äußere) Unterschiede. Dieses Double befindet / befand sich immer im Körper und wird so sichtbar gemacht. Dieser Vorgang ist es der das versteckte ans Tageslicht befördert und aus dem (Unter-)Bewusstsein, aus dem virtuellen in die Realität befördert und die Realität in eine Virtualität umwandelt, eine Simulation, die sich nicht mehr von Realität unterscheiden lässt. Ich betone nochmals, dass sich hierbei ausschließlich auf das äußere Erscheinungsbild des Körpers bezogen wird, insofern ist die Kopie nicht so gut wie die, welche beim Klonen entsteht. Aber sie löst ähnlich wirkungsvoll die Grenzen auf, denn alles Wahrnehmbare wird ja letztendlich repräsentiert.

Dieser fließende Übergang wurde auch in der Science-Fiction häufig aufgegriffen, am offensichtlichsten wahrscheinlich durch die Einrichtung eines Holodecks in der TV-Serie „Star Trek: The next Generation“. Hier werden komplette Umgebungen und Charaktere durch Holographie und Kraftfelder erzeugt, die Technologie dient sowohl der Freizeitgestaltung als auch der Ausbildung. Der Übergang zwischen dieser virtuellen Welt und der Realität bleibt immer vage, so ist es beispielsweise nur durch sog. Sicherheitsprotokolle gewährleistet, dass Besucher des Holodecks nicht verletzt werden können. Werden diese deaktiviert, können virtuelle Kugeln reale Verletzungen verursachen. Ein holografischer Charakter kann das Deck nicht verlassen, er löst sich auf sobald er dies versucht. In einer speziellen Folge wird unabsichtlich ein Charakter erschaffen, der sich seiner selbst bewusst ist (quasi die perfekte Simulation einer Person, im speziellen Fall handelt es sich um Professor Moriarty, den Gegenspieler von Sherlock Holmes) und sich daher auch seiner Beschränkung bewusst wird und diese zu Überwinden versucht. Was bedeutet das für den Menschen, seine Identität und seinen Körper, wenn es uns möglich ist, all dies zu simulieren? Stellt sich nicht die Frage nach unserer eigenen Virtualität in der vermeintlichen Realität? Sind wir nicht selber eine (zu einem gewissen Grad) perfekte Simulation. Oder gar ein Simulacrum, also eine Simulation, zu der es gar kein reales Gegenstück mehr gibt? Genau das ist es, was Baudrillard aufzuzeigen versucht wobei ich hier betonen möchte, dass er lediglich die Frage aufwirft ohne große Anstrengungen zu unternehmen auch Antworten zu finden, außer vielleicht der allumfassenden Feststellung, dass es Realität nicht mehr gibt.

Baudrillard fährt fort: „ […] why would the simulacrum with three dimensions be closer to the real than the one with two dimensions? “ (Baudrillard 1994 [2], S. 73) Seiner Meinung nach geschieht eben genau das Gegenteil, es wird nicht realer sondern viel mehr virtueller durch die dritte Dimension. Es wird hyperreal, denn sein Argument ist, dass wenn ein Objekt exakt wie ein Zweites ist, dann ist es eben nicht mehr exakt wie dieses Objekt sondern schon etwas exakter. Und diese Hyperrealität ist schon wieder eine Simulation. Realer als die Realität und wahrer als die Wahrheit. Und daraus kann man wiederum die Zerstörung / den Tod des Realen ableiten, den Verlust aller Bedeutung.

Das ist im Grunde die wahre Gefahr all dieser neuen Technologien: Die Bedeutungslosigkeit für die Realität und für das Körperbild, die von der Reproduzierbarkeit eben dieser ausgeht. Das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Naturwissenschaft; ihr Vorgehen, dass im Grunde aus Dekonstruktion der Welt in ihre Einzelteile und Rekonstruktion eben dieser besteht, um sie zu verstehen. Dabei nimmt sie auch alles was den Körper ausmacht sukzessive auseinander, löst ihn auf in ein Nichts aus purer Information (den genetischen Code) und zerstört ihn während sie auf der anderen Seite versucht ihn wieder zu erschaffen aber nicht als Original, also ein schlichtes Duplikat der Realität, sondern als Vorlage für unendliche Reproduzierbarkeit, also ein hyperreales Gebilde, eine Simulation. Nicht umsonst muss jedes Experiment, das in der Naturwissenschaft einen beweisenden Charakter haben soll auch wiederholbar sein. Diese Simulation kann und wird laut Baudrillard zum Simulacrum werden, wenn seine Vorlage quasi bedeutungslos gemacht worden ist.

4 Technologie und Medien als Erweiterung des Körpers

Basierend auf dieser Theorie ergeben sich viele weitere interessante Aspekte für den Umgang mit Technologie im Bezug auf das Körperbild.

Es ist mehr oder weniger akzeptiert, dass der Körper aus seiner Natürlichkeit herausgelöst wird um verbessert zu werden. Wenn Baudrillard von dem finalen Schritt, nämlich der Beeinflussung der kleinsten Einheit im Organismus, der ursprünglichen Wurzel, der Information, die im genetischen Code vorhanden ist, spricht, so gehen dieser Veränderung Jahrtausende von Praktiken voraus, die den Körper ebenso beeinflusst haben.

Der Körper wurde schon immer durch Werkzeuge erweitert, Baudrillard spricht nicht umsonst von Prothesen, wenn er sich auf Einzelteile des menschlichen Körpers bezieht. Körperteile, die ihre Funktion nicht mehr erfüllen werden ersetzt oder aber es werden den vorhandenen Teilen weitere Funktionen hinzugefügt. Scharfe Klingen, Schusswaffen, Kleidung und so ziemlich alle weiteren Objekte, werden dem Körper hinzugefügt, um ihm Funktionen zu ermöglichen, die er allein auf sich gestellt nicht besitzen würde. So hat der menschliche Körper immer schon eine Art Erweiterung durch Simulationen erfahren, umgeben von einer Virtualität von Eigenschaften, die ihm so nicht eigen sind.

Auch der Übergang in die Hyperrealität ist nicht schlagartig durch das Klonen hervorgerufen worden. Sämtliche Massenmedien (angefangen mit dem Buchdruck) haben schon seit einigen hundert Jahren den Körper mehr und mehr bedeutungslos gemacht. Tatsächlich wird der Körper in seiner Stofflichkeit und Trägheit mehr und mehr zur Behinderung. Der Mensch kann durch Massenmedien (ganz besonders durch moderne Medien wie das Internet) sämtliche räumlichen und zeitlichen Schluchten überbrücken, er kann in Sekunden Informationen aus allen Winkeln des Universums erfassen während er jedoch seinen Körper, der abhängig ist von Zeit und Raum, zurücklassen muss. Der Mensch wird immer mehr heimisch in der virtuellen Welt, einer Welt mit anderen Regeln, denen sich der Geist anzupassen oder zu unterwerfen vermag. Der Körper jedoch kann diese Grenze so nicht überwinden und bleibt zurück, wird gar ersetzt durch neue individualisierte Formen der Repräsentation. Denn das nimmt der Mensch mit aus der Realität, die Abhängigkeit von der eigenen Repräsentation, etwas ‚Wahrnehmbares’ zu sein im realen wie auch im virtuellen Raum. Doch die Repräsentation ist veränderbar (im virtuellen wie im realen), sie kann angepasst werden entweder durch entwerfen eines Avatars oder durch Veränderungen am realen Körper (Schönheitschirurgie, Kosmetik, Kleidung, Schmuck etc.). Wir nähern uns der Auflösung des Körpers also -möglicherweise unbewusst- schon seit langem an und das Klonen und damit die ultimative Bedeutungslosigkeit des Körpers -die Repräsentation, von der wir nach wie vor abhängig sind- ist das Ziel, in das diese Entwicklung laut Baudrillard mündet. Nur wird dieser finale Schritt eben nicht den Körper vom Geist trennen sondern eben beides der Bedeutungslosigkeit ausliefern, wie auch schon heute in Ansätzen die eigene Existenz immer mehr der Bedeutungslosigkeit ausgeliefert wird, in dem Teile des Körpers oder eben der ganze Körper für bestimmte soziale Praktiken bedeutungslos werden. Die Frage ist, ob es den Menschen gelingen wird, diese Abhängigkeit des Geistes vom Körper zu überwinden oder ob es eine Rückbesinnung auf die Bedeutung des Körpers (wie sie ebenfalls schon zu beobachten ist) und eine Anpassung der Vermittler, der Medien, geben wird.

Baudrillard hingegen hat einen komplett gegensätzlichen Medienbegriff. Er geht von einer „Totalisierung technischer Medien aus“ (Lagaay/Lauer 2004 [1], S.142). Sie sind für ihn nicht länger Erweiterungen des Körpers, Vermittler oder Prothesen „sondern sind allgemeiner Code: das Modell menschlichen Zusammenlebens“( Lagaay/Lauer 2004 [1], S.142-143). Sie sind dafür verantwortlich, dass für uns die simulierte Realität an die Stelle der Realität tritt. Baudrillard selbst sagt: „Ich gehe von der Hypothese aus, dass die Welt eine vollkommene Illusion ist“ (Lagaay/Lauer 2004 [1] S.143) Die Medien stellen die Welt für uns nicht mehr nur dar, sie sind „Wirklichkeitsspender“ (Lagaay/Lauer 2004 [1] S.142), sie stellen die Welt her, die wir wahrnehmen. So ist in der modernen Gesellschaft der Fernseher nicht nur Medium im klassischen Sinn sondern auch ein neuer Zeitgeber. Menschen richten sich ihren Tagesablauf nach dem Fernsehprogramm ein, gegessen wird zwischen den beiden Lieblingssendungen, der Abend beginnt mit der „Tagesschau“ und am Samstag stehen die Kinder in aller Frühe auf die ersten Zeichentrickserien nicht zu verpassen. Wir nehmen Zeit gefiltert wahr anhand von uns zugeteilten Knotenpunkten, die uns das Fernsehen anbietet, die wir aber auch bereitwillig akzeptieren.

Baudrillard verändert den Begriff des Mediums, des Vermittelnden also in etwas, das selbst produziert und hervorbringt. Und dabei auch den Dialog auflöst. Medien senden, wir empfangen. Wir können nicht zum Original zurückkehren und hinter die Medien treten. Technische Apparaturen schalten sich also dem Körper vor, der Körper wird (unfreiwillig) erweitert. Die Darstellung im Film „Matrix“ dürfte der Idee Baudrillards sehr nahe gekommen sein, wenn die Menschen dort, eingefasst in Gefäße, die sie nicht wahrnehmen, durch technische Zugänge nicht nur mit Nahrung sondern auch mit der künstlichen Welt versorgt werden, ohne die Möglichkeit zu haben diesen Apparaten zu entfliehen geschweige denn sie überhaupt wahrzunehmen. Genau das ist das Körperbild, dass wir durch Baudrillards Thesen konstruieren können: Wenn alles, was wir wahrnehmen virtuell induziert ist, die Realität, die wir wahrnehmen, nicht länger real sein muss, dann muss es auch der eigene Körper nicht mehr sein. Auch ihn können wir selbst nur von außen wahrnehmen, wir können nur durch unsere (äußerlich angebrachten) Augen, nicht aber nach oder von innen sehen. Es ist daher plausibel, dass der Körper austauschbar wird, dass er ein weiteres Instrument wird, das wir anpassen können ähnlich der „mentalen Projektion des digitalen Selbst“ wie er in „Matrix“ vorgeführt wird. Denn das was den Menschen ausmacht, kann nur etwas sein, dass real und keiner Projektion entsprungen ist, etwas, das nicht durch äußere Medien verändert werden kann.

Schon René Descartes hatte durch sein methodisches Zweifeln sein Selbst auf eine simple These, ein minimal Existierendes reduziert: „Ich denke also bin ich.“ Dieser Denkende ist es, der auch jetzt wieder im Zentrum eines Selbstbildes steht, wenn alles andere möglicherweise keine Realität mehr ist und wir an seiner Richtigkeit zweifeln müssen (und laut Baudrillard ist es zwingend, dass die Realität nicht mehr als real angesehen werden kann).

Die allgemeine Missachtung des eigenen und anderer Körper, der Missbrauch dieses Instruments, das dem Menschen fremd zu werden scheint und überlagert wird durch technische Prothesen, die der Körper zusammen mit der Simulation vollends zu assimilieren beginnt, aber auch das performative Zur-Schau-Stellen des Körpers als eine Art Aushängeschild dessen, was wirklich real ist (oder was wir dafür halten), das Schmücken, Anpassen oder Beschneiden des Körpers, das Kreieren eines Selbstbildnisses nach unseren Vorstellungen auch als Schutz gegen die von außerhalb angreifende simulierte Realität, dies sind allesamt Auswirkungen der Entfremdung des Menschen von seinem Körper. Alle diese Praktiken haben sich unterschiedlich in der Gesellschaft etabliert und drücken doch alle dieselbe Unsicherheit gegenüber der Welt aus.

Zugegebenermaßen beschränkt sich Baudrillards Darstellung und damit auch dieses Körperbild allenfalls auf die industrialisierten und mediendurchsetzten westlichen Staaten Europas, auf die USA etc. und lässt sich nicht auf die so genannte dritte Welt, Asien oder Afrika anwenden.

Dies wiederum lässt fragen, ob diese Bevölkerungen in einer radikal anderen Welt leben und ob wir mit ihrer Hilfe unsere Realität, denn die jetzige Realität ist ja laut Baudrillard nicht mehr real, wieder finden könnten. Diese Frage wird so nicht gestellt und auch nicht beantwortet, aber sie scheint mir durchaus nahe liegend auch wenn ich an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen kann.

In vielerlei Hinsicht verkommt der Mensch in Baudrillards simulierter Welt zu einer Art Hologramm, einer perfekten Abbildung von sich selbst, die nicht weiß, dass sie nur künstlich ist und darum ihre Beschränkung nicht zu durchbrechen vermag. Die Art wie wir uns wahrnehmen wird willkürlich, die Frage was Besonderes an unserer Äußerlichkeit ist wird unbedeutend, weil Äußerlichkeit selbst unbedeutend und mehrdeutig wird. Sie ist austauschbar. Diese mögliche Abgrenzung des Menschen von seiner Repräsentation führt aber auch zu einer Entfremdung von seiner Umgebung und nicht zuletzt zu anderen Körpern seiner Art. Sie könnte Anzeichen einer fortschreitenden Isolierung des Einzelnen sein, eine Entwicklung, die heute noch als Individualismus bezeichnet wird aber letztendlich vielmehr als Vereinsamung inmitten der Menschenmenge gesehen werden sollte.

Der Körper hat also dauerhafte Prothesen bekommen, mediale und technische, die scheinbar in seinen Fähigkeiten erweitern gleichzeitig aber auch die Gefahr der Entfremdung mit sich bringen. Alles dies verschmilzt aber bei Baudrillard und verliert an Bedeutung, denn es ist nur ein weiterer Aspekt der Simulation, deren Bestandteil zu werden uns droht (wenn wir es nicht schon längst sind).

5 Körper im Überfluss

Ein weiterer Aspekt, dem Baudrillard einen Teil seiner Aufmerksamkeit schenkt, ist der Gedanke des überzähligen Körpers. In seinem Aufsatz „Die magersüchtigen Ruinen“ etabliert Baudrillard die Idee einer „Verstopfung der Systeme“ und ihrer „Regellosigkeit durch Überentwicklung“. Eine zentrale Aussage formuliert er am ehesten so: „Es werden so viele Dinge hergestellt und angehäuft, dass sie einfach niemals mehr die Zeit finden werden, irgendjemandem nützlich zu sein [..]“ (Baudrillard 1991 [3] S.81) Dies versetzt uns laut Baudrillard in einen Zustand der Übersättigung und daraus resultierender Unbeweglichkeit. Dieser Gedanke kann ohne Probleme auch auf den Körper angewendet werden. Kurz gesagt befinden wir uns in der Situation, dass es auf diesem Planeten derzeit mehr als sechs Milliarden von Körpern gibt mit steigender Tendenz. Es scheint offensichtlich, dass damit der einzelne Körper respektive Mensch an Bedeutung verliert, ja verlieren muss. Der Einzelne scheint immer mehr eingeengt.

Gerade in den Industrienationen kann man zudem Folgendes beobachten: „Dieses Sättigungs- und Unbeweglichkeitsprinzip macht sich in der Verödung der Zeit, des Körpers, des Landes bemerkbar. [..] Dieser Körper, unser Körper scheint nur noch entbehrlich, im Grunde unnütz in seinem Umfang, in der Vielheitlichkeit und der Komplexität seiner Organe, seiner Stofflichkeit, seiner Funktionen, da sich heute alles im Hirn und in der genetischen Formel konzentriert“ (Baudrillard 1991 [3] S.82) Diesen Standpunkt von Baudrillard kennen wir schon aus der Kritik des Klonens, aber er wird hier sehr viel deutlicher formuliert. Der Körper ist überflüssig. Nicht nur, dass es davon zu viele gibt, sie werden in ihrer Form als Werkzeug kaum noch benötigt und schränken uns in ihrer Eigenschaft als Hülle unnötig ein. Dies scheint plausibel schon wenn man das Problem der Arbeitslosigkeit, auf das auch Baudrillard verweist, betrachtet: Berufe, in denen körperlicher Einsatz gefragt ist, werden immer seltener. Maschinen und Roboter übernehmen diese anstrengenden Arbeiten, was bedeutet, dass die Menschen, die im Grunde entlastet werden sollen letztendlich vollkommen überflüssig werden. Die Zukunft liegt in Berufen in denen ausschließlich oder zumindest ein hoher Anteil der Leistung im Kopf erbracht wird. Es muss verwaltet werden, wir benötigen Ideen, Pläne, Informationen müssen aufbereitet, verbreitet, gestaltet werden, aber wenn es um praktische Umsetzungen geht, um stupide und bisweilen körperliche Aufgaben, so finden wir immer häufiger Maschinen anstelle von menschlichen Körpern vor. Der Maschinencharakter des Körpers verschwindet allmählich aus unserem Körperbild, wird ersetzt durch richtige Maschinen, die teilweise sogar nach dem Vorbild des menschlichen Körpers erschaffen werden.

Ein anderer Aspekt, den ich nochmals aufgreifen will, ist der Körper als Interface mit der Umwelt. Tatsächlich müssen alle modernen Entwicklungen im technischen Bereich an den menschlichen Körper angepasst werden. Computer, die wohl nichts anderes sind als Zugangsports zu Information beziehungsweise zum Informationsnetz, dass immer mehr diesen Planeten überzieht, benötigen Eingabegeräte wie Tastatur, Maus und Ausgabegeräte wie den Monitor oder Drucker um von Menschen wiederum über das Interface Körper benutzt werden zu können. Diese Geräte sind an die „Stofflichkeit“ angepasst, mit ihnen umzugehen verlangt bisweilen etwas Übung. Es wäre sicherlich viel effektiver den Informationsfluss ohne ständiges Maskieren von der Quelle zum Empfänger senden zu können, wenn es einen Weg gäbe, direkt in das Gehirn vorzudringen, wo die Informationen letztendlich landen sollen. In dem Film „Matrix“ sehen wir die Konsequenz, würde uns dies gelingen: Durch den Datenanschluss im Hinterkopf der Personen, kann der komplette Körpermechanismus umgangen werden, der Körper wird im Grunde nutzlos, verkommt zur bloßen Hülle, die nicht einmal mehr wahrgenommen wird.

Sind wir auf dem Weg dies zu verwirklichen? Es gibt Entwicklungen wie kleine Laserbrillen, die Bilder direkt in das Auge projizieren, möglicherweise kann es auch Bildschirme in Kontaktlinsen geben. Es gibt Forschung, die sich mit den Hirnströmen beschäftigt und es möglicherweise eines Tages schafft, die wichtigen Teile des Gehirns zu lokalisieren und durch das Messen der Ströme in diesen Teilen herauszufinden, was das Subjekt denkt. Man kann bereits Insekten durch Eingriffe in das Nervensystem mit Hilfe von Fernbedienungen steuern. Vielleicht wird es auch möglich sein, Geräte per Gedanken zu kontrollieren. Schon heute sehen wir, wie träge der Mensch wird, sobald der Fernseher mit einer Fernbedienung ausgerüstet ist. Kann der Körper noch mehr an Bedeutung verlieren, wenn künftig ein einfacher Gedanke ans Umschalten genügt? Diesen Aspekt vertieft Baudrillard nicht, aber es scheint doch äußerst plausibel, dass der Körper in seinen angestammten Aufgaben immer mehr abgelöst wird.

6 Kritik, Fazit und Ausblick

All diese Ideen und Theorien klingen zugegebenerweise stellenweise stark nach Science-Fiction. Allerdings sind es hochinteressante Gedankenexperimente, so dass man sich dieser Gefahr wohl oder übel zunächst aussetzen muss. Baudrillard ist Soziologe und kein Naturwissenschaftler und demnach sind seine Ideen immer dann mit Vorsicht zu genießen wenn er naturwissenschaftliche Begriffe benutzt, da seine Definitionen mithin stark von der unter Naturwissenschaftlern üblichen Erklärung abweichen. Dieses Vorgehen wird ihm sehr häufig von naturwissenschaftlicher Seite vorgeworfen. Wenn es also um technische Fragen, wie im Falle des Klonens geht, um seine Vorstellungen zur Verwendung von DNS oder seine Definition von Körperprothesen, dann muss man sich vor Augen führen, dass es sich nicht zwingend um naturwissenschaftliche Fakten handelt. Im Falle des Klonens ist das sehr deutlich: Naturwissenschaftler haben die Theorie, dass es niemals möglich sein wird eine perfekte Kopie anhand von DNS anzufertigen, denn es gehen immer Informationen verloren oder es gibt Einflüsse, die man nicht unter Kontrolle hat. Selbst wenn man allerdings einen Menschen anhand seines genetische Materials dupliziert, können Einflüsse im Leben immer noch zu anderen Ergebnissen bei der Entwicklung dieses Menschen führen und es ist unwahrscheinlich das ein Duplikat entsteht wie es Baudrillard sich offenbar vorstellt. Damit sind die Äußerungen über die Gefahr der Verletzung der Einzigartigkeit doch deutlich zu relativieren.

Ebenso fragwürdig erscheinen auch Baudrillards Ausführungen bezüglich der Virtualität unserer Realität. Nach seiner Theorie dürften weniger technisierte und medialisierte Völker der simulierten Wirklichkeit kaum oder gar nicht ausgesetzt sein. Es scheint mir dann aber fraglich, wo die Schnittstelle liegt, die unsere simulierte Wirklichkeit mit der noch real vorhandenen Wirklichkeit verbindet. Dass es so eine Schnittstelle geben muss scheint mir zwingend, wenn es doch unterschiedliche Realitäten gibt. Tatsächlich sagt Baudrillards Theorie aber aus, dass genau solch eine Verbindung nicht mehr gegeben ist, dass die Simulation jeglicher Referenz entsagt hat. Da Baudrillard selbst dieses Dilemma scheinbar nicht sieht, ist es auch mir an dieser Stelle nicht möglich, dafür Erklärungen anzubieten, weshalb dieser Gegensatz zunächst offen bleibt.

Im vorhergehenden Abschnitt habe ich festgestellt, dass der Körper in Zukunft aus seinem ursprünglichen „Revier“, seinem angestammten Aufgabenbereich vertrieben wird. Während Baudrillard dazu einfach die Nutzlosigkeit des Körpers konstatiert, glaube ich, dass es vielmehr eine Verschiebung geben wird. Der Körper kann und darf nicht länger als Maschine betrachtet werden. Vielleicht wird es mehr und mehr um seine repräsentative Wirkung gehen. Schon heute verwenden Menschen viel Zeit und Geld darauf, ihren Körper  als ihr Aushängeschild zu gestalten. Schönheitschirurgie ist dabei quasi die ultimative Schwelle zum Wunschkörper. Das Motto lautet „Pimp my body“ und ganze Industriezweige entwerfen Pillen, Cremes, Seifen etc. um diese Möglichkeit allen Menschen (möglichst unabhängig von sozialen Gruppen und finanziellen Möglichkeiten) darzubieten, es gehört scheinbar schon zum menschlichen Grundbedürfnis. Der Körper wird genutzt als Werbefläche für sich selbst. Mode und Körperschmuck vom Ohrring bis hin zu Piercing und Branding haben zwar eine hohe Fluktuation was ihre Beliebtheit angeht, gewinnen aber insgesamt alle an Bedeutung quer durch alle Altersklassen, sozialen Schichten und neuerdings auch in einer Angleichung des Verhaltens der Geschlechter (Stichwort: Metrosexualität).

Auf der anderen Seite gibt es Bewegungen, die sich wieder der Natur zuwenden, der Natürlichkeit des Körpers mehr Bedeutung beimessen. Sie berufen sich auf das natürliche Verhältnis des Menschen zu seiner Umgebung, das lange vor institutionalisierten Körperpraktiken schon existiert hat. Man achtet auf die Stimme des Körpers, auf subtile Zeichen, die einem mitteilen, welche Fehler man im Umgang mit dem eigenen Selbst  begangen hat. „Achte auf deinen Körper!“, ist eben auch ein Motto, das immer mehr Anhänger findet und eine stärkere Verknüpfung zur eigenen Identität propagiert. Dieser speziellen Art von Retrospektive misst Baudrillard keine besondere Bedeutung bei.

Möglicherweise befinden wir uns in einer Phase der erneuten grundlegenden Änderung des Körperbildes, einer Phase des Umbruchs, deren Ziel noch nicht abzusehen ist. Baudrillard gibt Hinweise und einige Ideen für diesen Umbruch zu Protokoll und auch wenn die Ideen Anstoß zu Gedankenexperimenten geben, so sind sie doch auch geprägt von einem gewissen Pessimismus, den ich so nicht nachvollziehbar finde. Wenn man die Vergangenheit betrachtet, so scheint mir die Veränderung des Körperbildes bislang immer mit verbesserten Lebensbedingungen einhergegangen zu sein. Letztendlich hängt es natürlich von vielen Kriterien ab, wie der Mensch sich seine Umwelt gestaltet und welchen Platz er dann noch in ihr findet. Vielleicht ist es wirklich eine Eigenheit des Menschen, sich selbst mehr und mehr überflüssig zu machen und sich in seiner eigenen Definition anzugreifen. Dagegen müssen wir vorgehen und darauf sollten wir auch ein Augenmerk legen. Möglicherweise hat das jedoch auch gar keine Bedeutung.

Man kann also zusammenfassend feststellen, dass unser Konzept von Körper sich in einem Umbruch befindet, dessen verschiedene Aspekte sich durch Baudrillards Theorien erklären oder zumindest analysieren lassen. Viele derzeit übliche Körperpraktiken lassen sich in den Kontext der Medien- und Informationsgesellschaft einbetten während andere Praktiken eher wie eine Gegenbewegung zur allgemeinen Bedeutungslosigkeit des Körpers erscheinen. Baudrillard würde diesen Gegensatz selbst wohl wieder als Simulation, artifiziell, hyperreal und damit bedeutungslos auffassen. Dem will ich mich nicht anschließen, denn es scheint mir zum jetzigen Zeitpunkt sinnlos diese Entwicklung einer Bewertung zu unterziehen.

Wenn Baudrillard feststellt, dass die „Zeit des Heldenhaften vorüber ist“ und „einer Zeit des Ausgleichs“(Baudrillard 1991 [3] 90) Platz gemacht hat, dann verstehe ich das durchaus ohne den negativen Unterton, der diesen Aussagen angeknüpft ist. Auch wenn tatsächlich der „Idealismus der Werbung“ und der erzwungene Positivismus immer mehr um sich greifen, sollte uns das nicht daran hindern wieder einen eigenen Optimismus jenseits der simulierten Medienrealität zu entdecken und ich glaube, trotz des Insistierens Baudrillards auf einer unumgehbaren Barriere, die uns dauerhaft daran hindert, dass auch dies möglich ist. Ein letzter Satz von Baudrillard scheint mir (leider aus seinem Kontext herausgelöst) diesen Gedanken am besten einzufangen: „Wir leben in einer genialen Epoche, von der niemand weiß, was sich vielleicht in ihr noch wird ereignen können.“ (Baudrillard 1991 [3] 93)

Literaturverzeichnis

[1] Windgätter, Christof: Jean Baudrillard „Wie nicht simulieren oder: Gibt es ein Jenseits der Medien?“ in: Alice Lagaay, David Lauer (Hg.) „Medientheorien – Eine philosophische Einführung“, 2004

[2] Baudrillard, Jean : Simulacra and Simulation, University of Michigan Press, 1994

[3] Baudrillard, Jean: „Die magersüchtigen Ruinen“ in: Dietmar Kamper und Christoph Wulf „Rückblick auf das Ende der Welt, Boer Verlag München, 1991
PDF-Ausgabe, Boer Verlag München, 2002, http://www.boerverlag.de/KAMPER.HTM∞

1  Hanley, Richard, Simulacra and Simulation: Baudrillard and The Matrix, http://whatisthematrix.warnerbros.com/rl_cmp/new_phil_hanley2.html, 2003

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