Drei Jahre Wissenschaft – Ein vorläufiges Resümee

Draussen scheint die Sonne, drinnen leere Gänge Ich glaub' es ist SemesterpauseIm September arbeite ich drei Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und daher fand ich es passend, diese Zeit mal Revue passieren zu lassen. Das sind natürlich sehr individuelle Eindrücke, darum gilt: Your mileage may vary.

Die Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter unterteilt sich formal in Forschung und Lehre. Tatsächlich muss man sagen unterteilt sie sich allerdings in Forschung, Lehre und Verwaltung/Bürokratie. Unter Verwaltung fasse ich mal alles, was mit Anträgen, Listen, Tabellen, Bestellungen o.ä. zu tun hat, die ich nicht für mich anfertige, sondern die irgendwo ins System gehen. Nach meiner Wahrnehmung ist man auch im Rahmen der Lehre mit reichlich Verwaltungstätigkeiten (Noten melden z.B.) beschäftigt, das zähle ich dort dazu, auch wenn Bewertungen eigentlich Teil der Lehre sind.


Meine Feststellung ist, dass der Verwaltungsanteil stetig zunimmt. Der Uni-Apparat ist zu einem großen Anteil ein bürokratischer, trotzdem hat man nicht den Eindruck, dass an einer sauberen Trennung zwischen Bürokratie und Wissenschaft gelegen ist. Das wäre nicht weiter problematisch, wenn wenigstens eine gewisse Optimierung existieren würde. Zwar versucht man mit diversen Mittelchen der IT, der Organisation oder eben der informellen Regelungen da teilweise entgegenzuwirken, aber im Endeffekt sind diese Bemühungen in meinen Augen eher kontraproduktiv. Wenn z.B. Software angeschafft wird, die überhaupt nicht zum vorhandenen Workflow oder der Organisationsstruktur passt und diese dann zwangsweise integriert werden soll, entsteht für alle Beteiligten mehr Aufwand und nicht weniger. Das merkt man insbesondere auch, wenn man sich z.B. mit Finanzfragen beschäftigt. Dort sind Abläufe und Regeln schon auf Sachebene häufig wenig transparent, dazu kommt noch die soziale Ebene (z.B. Mitarbeiter, die scheinbar gegeneinander arbeiten). Das kennt man sicherlich in jeglicher Büroumgebung, ist also vielleicht gar nicht vermeidbar oder besonders außergewöhnlich. Aber letztendlich erschwert es einfache Dinge, wie Auskünfte einholen oder den entsprechend verantwortlichen Mitarbeiter finden. Man merkt vielleicht: Dieser Aspekt des Jobs ist mir sehr suspekt und scheint mir auch der anstrengendste zu sein. Interessanter ist da schon die Lehre.

10443918684_1fe0a72272_oDer Lehranteil ist für mich recht gering (normal eine Veranstaltung im Semester) aber gleichzeitig der kreativste Anteil. In unserem Umfeld können die Themen und Ausgestaltung von Lehrformaten recht flexibel gehandhabt werden, solange man innerhalb des Forschungsfeldes anschlussfähig bleibt. Die Medienbildung im Bachelor ist stark projektorientiert ausgerichtet, es können Medienprodukte als Leistungen erbracht werden und daher gibt es so gut wie keine Klausuren (vor allem nicht im pädagogischen Anteil des Studiums), eher Hausarbeiten, Internet- und Filmprojekte sowie recht viele Präsentationen. Thematisch haben wir die Wahl zwischen Film und Internetthemen im weitesten Sinn, theoretisch auch Computerspiele, aber da ist der Partnerlehrstuhl federführend. Man hat also von knochentrockenen Theorieseminaren (die es auch geben muss), über projektorientierte Seminare bis hin zu alternativen Formaten viele Möglichkeiten. Einschränkend wirken sich oft die Studierendenzahlen aus, kleine Seminare sind effektiver und flexibler, aber es müssen auch genug Angebote für alle Studierenden da sein, so dass man die Seminare nicht beliebig klein halten kann.
Da man ja im weiteren Themenfeld auch forscht bietet sich die Möglichkeit, Forschungsthemen ins Seminar zu bringen. Ich persönlich neige aber dazu, andere Themen für Seminare zu nutzen, als die, die ich aktiv beforsche, einfach weil ich gerne etwas Abwechslung habe. Zu Beginn muss man sich einen Grundstock an Themen erstmal neu erarbeiten, das hat insbesondere in den ersten anderthalb Jahren natürlich Arbeit gekostet. Später kann man dann die Veranstaltungen auch wiederholen, was ich insofern zu vermeiden suche, als das ich auch bei einer Neuauflage immer einige Aspekte verändere um zu sehen, wie die Seminare dann funktionieren. Variablen, mit denen man spielen kann, sind z.B. die Häufigkeit und Art von Input von meiner Seite, die verwendeten Materialien, Präsentationsanteile der Studierenden am Seminar, eine eher offene Struktur mit starkem Fokus auf Beiträge der Teilnehmer oder eher eine stark vorstrukturierte Veranstaltung ohne spontane Gestaltungsspielräume. Ausstattung ist im Grunde kein Problem, schwierig zu kalkulieren sind immer Motivation der Teilnehmer und das soziale Zusammenspiel der Gruppe/n. Insbesondere der Aufwand von Gruppenarbeit wird oft unterschätzt, allerdings auch bei den Studierenden.
Die Erfahrungen aus der Schulzeit und die starke Verschulung des Studiums in einigen Bereichen finde ich ein Problem, weil dadurch die Erwartungshaltung der Studierenden geprägt ist, wir aber bewusst dagegenhalten wollen und auf das Selbststudium Wert legen. Während also Studierende, die sich einfach nur ihre Credits und Noten abholen wollen und das dafür minimal Notwendige leisten (bzw. ihr Studium zielorientiert darauf ausrichten) womöglich in den Seminaren weniger mitnehmen, weil sie nicht alle Angebote wahrnehmen, können Studierende, die tatsächlich Interesse am Thema haben, sich weiträumig damit auseinandersetzen und ihre eigenen Interessen mit einbringen. Das sind allerdings zwei Haltungen, die sich bisweilen im Wege stehen können, das merkt man dann in den Seminaren anhand der Diskussionen und Beiträge, der Aufmerksamkeit, der Vorbereitung und natürlich der Motivation. Aus den Rückmeldungen z.B. durch die Evaluationen wird das nur bedingt sichtbar.
Schwierig zu managen ist die Zeit für Kontrolle von Leistungen. Um Hausarbeiten und Medienprojekte fair und aussagekräftig zu bewerten geht einige Zeit drauf, dann wird noch eine meist recht umfängliche Rückmeldung gemacht, die ich auch notwendig und richtig finde. Frustrierend ist das aber besonders dann, wenn die Rückmeldung bei den Studierenden gar nicht auf großes Interesse stößt, sondern die Note und die CP im Vordergrund stehen, was wieder ein Effekt der genannten Verschulung ist. Anders als vielleicht bei den Naturwissenschaften kommt es in geisteswissenschaftlichen Leistungen imho mehr auf das Wie an und insofern gibt es zwischen richtig und falsch viele Graustufen. Eine komplexe Argumentation oder einen strukturiert ausformulierten Gedankengang mit einer Ziffernkombination zwischen 1,0 und 4,0 zu bewerten scheint mir immer noch wenig sinnvoll, zwei unterschiedliche Arbeiten mit derselben Note können trotzdem unterschiedlich gut/schlecht sein. Das zu kommunizieren ist recht schwierig.

Die Forschung läuft eigentlich immer mit und umfasst in meinem Fall primär die Dissertation, auch wenn in den drei Jahren einige schöne Publikationen entstanden sind und auch der ein oder andere Vortrag auf Tagungen und Konferenzen (Beispielberichte dafür gibt’s hier oder hier) möglich war. Mein Eindruck ist, dass Bücher lesen und sich mit dem aktuellen Forschungsstand eines Bereichs zu beschäftigen eher Aufgaben für die Freizeit sind. In aller Regel passiert das bei mir nicht im Büro. Während der Veranstaltungen ist Forschung noch eingeschränkter möglich, aber das muss man sich entsprechend einrichten. Vor allem die Dissertation kann man nicht, wie ich schmerzlich erfahren habe, unproblematisch drei Monate ruhen lassen. Schon allein deswegen ist die veranschlagte Arbeitszeit fast immer zu gering bemessen, das wird auch in vielen anderen Jobs nicht anders sein. Das Vernetzen mit anderen Forschern im eigenen Themenbereich ist tendenziell heute ja wegen des Internets viel einfacher als je zuvor, trotzdem sind die Kollegen vor Ort immer die ersten Ansprechpartner, weil eben auch am täglichen Arbeitsgeschehen beteiligt. Hier findet der primäre Austausch statt, auch weil es in den Arbeitsalltag leicht zu integrieren ist. Es ist schon ein besonderer Luxus dafür bezahlt zu werden, damit man sich mit Dingen intensiv beschäftigen kann, die einen interessieren, ohne dass man damit unmittelbar einen anderen Nutzen verfolgt als neues Wissen zu schaffen. Das muss man sich durchaus häufiger wieder ins Gedächtnis rufen, sonst geht es im Eifer des Alltagsgefechts schon mal unter. Aber wie gesagt ist Wissenschaft mittlerweile viel mehr als das und vielleicht geht die Zeit für Forschung dabei etwas verloren. Außerdem bekommt man es natürlich immer mal wieder auch mit anderen Befindlichkeiten zu tun.

Die Realität sieht in Wirklichkeit anders ausOhne an dieser Stelle meckern zu wollen, ist die Auslastung durch die genannten drei Bereiche in meiner Wahrnehmung mehr als ausreichend. Um Ausfälle z.B. in der Lehre zu kompensieren oder zusätzliche Projekte zu verfolgen bleibt eigentlich kein Spielraum. Mehr Zeit für einen Bereich bedeutet zwangsläufig weniger Zeit für die anderen. Diskussionen um finanzielle Kürzungen, Sparmaßnahmen und Streichungen von Stellen sind da schwer zu verstehen. In meiner Wahrnehmung sind weit mehr als drei Viertel der Arbeitszeit nur darauf ausgerichtet, das Tagesgeschäft der Universität in puncto Verwaltung und Lehre zu schmeißen. In unserem Studiengang ist das Betreuungsverhältnis noch recht gut, aber das kann schneller kippen als ich Wissenschaftszeitvertragsgesetz schreiben kann.

Ich bin ehrlich gesagt im Moment unsicher, ob ich der wissenschaftlichen Laufbahn nach der Dissertation (wenn sie denn mal fertig wird) erhalten bleibe, denn wer weiß schon, was als nächstes passiert. Vielleicht liegt es daran, dass ich Zweifel habe, ob die nötige Flexibilität vorhanden ist, um sich auf die Herausforderungen einer Bildung des 21. Jahrhunderts einzustellen. Die positiven Erfahrungen der letzten drei Jahre haben wenig mit der Institution Universität zu tun, sondern eher mit den Menschen und mit den Begegnungen in diesem Kontext. Auch wenn man mittlerweile stark in diverse Abläufe integriert ist und das auch Stress bedeutet, würde ich vermuten, dass ich immer noch größere Freiheiten habe (Arbeitszeiteinteilung z.B.) als in irgendeiner Firma.

Aber: Stellen wie die meine scheinen rar, Nachwuchs wird eventuell eher im naturwissenschaftlichen Bereich gefördert, aber das mag ein Vorurteil sein. Freiheiten, wie ich sie in Magdeburg habe, sind glaube ich nicht die Regel im Wissenschaftsbetrieb, das hört man zumindest oft. Grundsätzlich mag ich den Job und möchte gern weiter im wissenschaftlichen Bereich bleiben, auch weil ich an die gesellschaftlich bedeutsame Aufgabe der Wissenschaft glaube. Aber pragmatisch gesehen, erhöht sich auch hier von allen Seiten kontinuierlich der Druck, in Sachsen-Anhalt ja derzeit insbesondere aus Richtung der Politik.

Die Bildungsproblematik in Deutschland, dass muss man sich ja nur anhand der Entstehungsgeschichte westlicher Bildungssysteme klar machen, beginnt und endet in den Universitäten. Vielleicht kann oder muss sich das ändern. Ich bin vielen motivierten, gut ausgebildeten Wissenschaftlern begegnet, die es definitiv drauf haben, aber ich glaube auch, sie alle werden von Universitätsapparaten eher behindert als unterstützt. Vielleicht stünde der Institution die Flexibilität, die sie von ihren Mitarbeitern erwartet, selbst gut zu Gesicht?

Ohne konkret Vorschläge machen zu wollen (oder zu können), glaube ich, dass im Bildungssektor derzeit zu viel Druck drin ist. Man muss die Frage, was unser Ziel ist und wie man da hin kommt, neu stellen. Es kann nicht das Ziel von Bildung sein, möglichst preisgünstig die noch unbekannten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern. Das wird nicht funktionieren. Ich hoffe derzeit trotzdem, dass ich mich lange genug im Sattel halten kann, um zu erleben, ob wir das noch hinkriegen. Und auch wenn es idealistisch ist, möchte ich dazu gern was beitragen.

Eine Antwort auf „Drei Jahre Wissenschaft – Ein vorläufiges Resümee“

  1. Aufschlussreicher Beitrag. Am besten gefiel mir: „Vielleicht stünde der Institution die Flexibilität, die sie von ihren Mitarbeitern erwartet, selbst gut zu Gesicht?“ Aus meiner bescheidenen Arbeitserfahrung kann ich sagen, dass man in kleinen Firmen mit dem Mangel und in großen mit den Prozessen am meisten zu kämpfen hat.

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